
Auf der rechten Seite an einer scharfen
Biegung des Flusses, lag auf der sanft ansteigenden Höhe das
adelig-freiweltliche
Stift Herdecke der Sage nach von Frederuna im Jahre 819
gegründet. Sie liebte einen vornehmen und tapferen Ritter, der aber
im Kampfe fiel. Es wurde ihr Herz kalt für die Freuden der Welt, und
sie beschloss ein Kloster zu bauen nur dem Dienste des Herren zu
leben. Bei ihrem Suchen nach einem geeigneten Orte kam sie in die
liebliche, waldreiche Gegend der Ruhr, wo sie unter einer großen
Eiche rastete.
Der Platz gefiel ihr so gut, dass sie
ausrief:"Hier de Eke, dort soll das Kloster stehen!" aus diesem Ruf
entstand der Name Herdicke, später Herdecke. Nach dem Volksglauben
soll an dieser Stelle früher ein Heiligtum des Sachsenvolkes, die
Herthaeiche, gestanden haben, an deren Stätte nach der Unterwerfung
des Landes sich das Kloster, das der heiligen Gottesmutter geweiht
war, erhob. Wenn auch Frederuna nicht, wie die Geschichte erwiesen
hat, eine Verwandte des Sachsenbezwingers war, so scheint sie doch,
nach den reichen Schenkungen zu urteilen, die sie dem Stift machte,
einer vornehmen, begüterten Familie angehört zu haben. Die ältesten
Urkunden des Klosters sind bei einem Brande 1229 untergegangen,
sodaß man über die erste Zeit nichts Genaues mitteilen kann. Doch
läßt der Umstand dass die Herren von Volmestein die Schutzvögte des
Klosters waren, den Schluss zu, dass die Stifterin diesem
Geschlechte nah gestanden habe. In den die Stiftskirche umgebenden
Gebäuden, sollten 12 Adelige Jungfrauen ein Gott geweihtes Leben
führen, ohne jedoch durch das Gelübde der Keuschheit gebunden zu
sein. Sie waren verpflichtet, Fremde zu beherbergen, Armen Nahrung
und Kleidung zu geben und sich die Erziehung der weiblichen Jugend
angelegen sein zu lassen. Anfänglich mochten die Insassen des
Stiftes auch in diesem Sinne gelebt und gewirkt haben, aber schon
bald wurde es zu einer Versorgungsanstalt für die Töchter des
umwohnenden Adels. Wir finden besonders die von Volmestein,
Mallinckrodt, Romberg, Asbeck, Ovelacker, Haskenscheid und Elberfeld
vertreten. Da die Damen durch kein Gelübde gebunden waren, vielmehr
sich ziemlich frei bewegen konnten, Besuche machten und Besucher
empfingen, so liegt es nahe, dass eine Lockerung der ohnehin nicht
strengen Zucht mehr und mehr eintrat.
Das Stift hatte im Verhältnis zu andern
keinen besonders großen Grundbesitz, doch ließ es sich dort gut
leben. Es bezog reiche Einkünfte aus einer Kornmühle an der Ruhr, es
besaß eine ausgedehnte Fischerei am Flusse, es erhob das Fährgeld
und später den Brückenzoll, es zog die Gelder für das Bierbrauen im
stiftischen Brauhause ein, außerdem floß ihm eine Abgabe vom Wein-
und Brotverbrauch des Dorfes Herdecke zu, wozu noch das Standgeld
von den stark besuchten Jahrmärkten kam und anderes mehr. Die
Freiheiten und Gerechtigkeiten der Äbtissin waren nicht gering. Sie
besaß auch die Gerichtsbarkeit im Stiftsbereich, doch ohne den
Blutbann. Wenn ein Verbrecher zum Tode verurteilt war, so brachten
ihn die Gerichtsboten bis über die Brücke, woselbst ihn der Richter
von Hagen in Empfang nahm. Später ward der gefangene dem märkischen
Gerichte in Wetter ausgeliefert.
Das einträchtige Verhältnis zwischen der
Äbtissin und den Stiftseingesessenen wurde nicht wenig gefördert
durch die am Tage nach Fronleichnam stattfindende Zusammenkunft
sämtlicher Untertanen der hohen Frau unter einem mächtigen
Lindenbaum vor der Abtei. Es hieß dies der Pflichttag. Bei dieser
Gelegenheit wurden zu Nutz und Frommen beider Teile zunächst die
Privilegien und Rechte vorgelesen, der Vorsteher des Dorfes und die
Bauerrichter gewählt und bestätigt, Verpachtungen vorgenommen und
nicht selten eine Prüfung der Maße und Gewichte Gewichte angeordnet.
Was aber Herdecke weithin bekannt gemacht
hat, das war die dort seit 1374 bestehende Kalandbruderschaft. Es
war dies eine Vereinigung von Männern und Frauen, die an den ersten
Tagen des Monats, den Kalenden, zusammenkamen zum gemeinsamen Gebet,
zum Anhören von Predigten und zu Werken christlicher Nächstenliebe.
Man zog sich vom geräuschvollen Leben in der Welt zurück, um für
einige Tage in Bußübungen, Gebet und Betrachtungen sich für das
jenseitige Leben vorzubereiten. Der Kaland , der auch in Soest,
Lippstadt und Unna bestand, hatte besondere Statuten, und in diesen
waren sogar Strafen festgesetzt für solche Mitglieder, die bei den
monatlichen Versammlungen fehlten, es gab ferner Bestimmungen für
Testamentsabfassungen der Kalandsbrüder und -schwestern. Hohe Grafen
und niedere Bauern, Geistliche und Stiftsdamen gehörten ihm an, wie man denn fünf Ordnungen kannte: 1. Priester, 2. Adlige,
von denen unter andern die Grafen von der Mark und Kleve aufgeführt
sind, 3. Stiftsdamen, 4. Adelige der Umgebung mit ihren Frauen und
5. Bürger und Bauern, von denen ein weitläufiges Register vorhanden
ist. Der Kaland bestand bis zum Jahre 1648.
Ohne Zweifel entsprang die Bruderschaft
den Bedürfnisse des Menschen nach innerlicher Sammlung, und so kann
man es verstehen, dass der Kaland eine solch stattliche Reihe von
Mitgliedern zählte. Aber er artete bald aus, und die mit den
Zusammenkünften verbundenen Mahlzeiten und geselligen Unterhaltungen
scheinen mit der Zeit die meisten „Brüder und Schwestern“ angelockt
zu haben, worin denn auch der Grund zu suchen ist, weshalb die
Kalandbruderschaft sich allmählich auflöste.
Wie schon erwähnt, ist es mit einer
strengen Zucht im Stift Herdecke nie weit her gewesen. Die Damen
suchten Zerstreuung und freuten sich, wenn Verwandte und Bekannte
die Gastfreiheit des Stiftes in Anspruch nahmen. Die Schmausereien
dehnten sich dann nicht selten über einige Tage aus; auch einem
kleinen Tänzchen war man nicht abhold. So heißt es in einer
Rechnungsablage des Rentmeisters von Volmestein vom Jahre 1281
..."dede ich mynen heren, do he red mit Lob van Varsen und Joh. van
Summeren to Horde und reden vort den avend to Heyrdecke in dat
Closter. Dar vunden se Nevelinghe van dem Hardenberg und Bernd
Ovelacker und Ostinge und Herman van dem Vorste und bleven drey
Nacht to Heyrdecke und danßeden und teveden in dem Closter."
(Kindlinger: Gesch. v. Volmestein).
Über das Dorf Herdecke ist folgendes zu
sagen: die erste Erwähnung geschieht in den „Werdener Traditiones“,
einem Verzeichnis der ältesten Besitzungen dieses Klosters. Dort
heißt es, das unter Abt Otto von Sappenheim (1081 - 1105) der Kustos
Aldawig seinen Hof in „Herrche“ gegen eine jährliche Abgabe von zwei
Schilling einem gewissen Tido und seiner Ehefrau Azela überlassen
habe.
Mit der Gründung des Stiftes siedelten
sich im Schutze desselben Landleute an, und so entstand nach und
nach ein Dorf, das unter den Namen: Marienerdecke, Kirchherdecke,
Nonnenherdecke und später Kornherdecke in Urkunden vorkommt.
Graf Engelbert III. verlieh dem
aufblühenden Orte Marktgerechtsame, welche wesentlich die
Entwicklung Herdeckes gefördert haben. Von besonderer Bedeutung war
der Kornmarkt, und die Preise auf dem selben wurden bindend für die
nähere und weitere Umgebung bis nach Schwelm, Soest und Elberfeld
hin. Um 1548 fand die Reformation Eingang und zwar mit dem Erfolge,
daß mit der Äbtissin die meisten Stiftsdamen und der größte Teil des
Dorfes sich zu ihr bekannten. Die Streitigkeiten mit den katholisch
gebliebenen Stiftsdamen und Bewohnern wurden 1672 in der Weise
gelöst, dass diese neben der Abtei eine kleine Kirche mit einem
Geistlichen erhielten, jede vierte Äbtissin aus den katholischen
Stiftsdamen gewählt wurde und diese den vierten Teil der Einkünfte
erhielten.
Auch trübe Zeiten sah der Ort. Im
niederländisch-spanischen Kriege setzten die Spanier das Land, im
Dreißigjährigen Krieg gezogen vielerlei fremde Völker durch
Herdecke, 1619 hier die schreckliche Pest und 1709 die
Ruhrkrankheit, welche eine große Anzahl Menschen dahinrafften.
1738 erhielt Herdecke Stadtrechte, und nun
begann der wirtschaftliche Aufschwung. Wohnten 1722 in Herdecke 824
Einwohner, so stieg deren Zahl 1818 auf 1813, 1849 auf 3181, 1885
auf 4124, und heute zählt die Stadt 6164 Bewohner.
Jenseits der Ruhr erhebt sich mitten aus
dem breiten Grunde des Flusstales der Kaisberg mit dem
Stein-Denkmal. Der Berg mit seiner hervorragendem Lage ist wie
geschaffen zu einem Denkmal für den bedeutenden Mann, der durch
umsichtige Maßnahmen zur Förderung des Berg- und Hüttenwesens, zur
Anlage von Wasser- und Landstraßen und zur Hebung von Kunst und
Handel in der Mark beitrug. Es besteht aus einem 30 Meter hohen
Aussichtsturme. Die Veranlassung dazu gab der industrielle Friedrich
Harkort. An der Vorderseite des Turmes trägt eine Tafel folgende
Inschrift:
Dem Freiherren
Fr. H. G. Von und zum Stein
geb. 27. Okt. 1757, gest. 29. Juni 1831
Des Guten Grundstein,
Des Bösen Eckstein,
Der Deutschen Edelstein!
Das dankbare Bürgertum. 27. Oktbr. 1869
In der Halle sind die Büsten berühmter
Männer der Grafschaft angebracht, und wir finden dort Stein, Harkort,
Natorp und Diesterweg. Von der Galerie des Turmes hat man eine
prachtvolle Fernsicht über das herrliche Ruhrtal und die Berge.
Quelle:
Lenhäuser, A.. Klöster Burgen und feste Häuser an der Ruhr. Von
Hohensyburg bis zur Ruhrmündung. Essen 1924
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