Geschichte. Dort, wo die Düsseldorf-Essener Landstraße am
Ausgang der Waldserpentine des „Krummen Weges" die Ruhr erreicht,
liegt verborgen hinter einem Eisenbahndamm Schloß Hugenpoet (Bild
1—3), ehemals der Sitz der Herren v. Nesselrode, deren Burg 1478
ausbrannte. An Stelle eines Neubaus oder eines zweiten Neubaus vom
Anfang des 17. Jh. ließ der pfälzisch-neuburgische Geheime Rat Joh.
Wilh. v. Nesselrode im Jahre 1647 die heute noch erhaltene Anlage
aufführen, die im 19. Jh. eine eingehende Wiederherstellung erfahren
hat, nachdem das Schloß an die Frhrn. v. Fürstenberg-Borbeck
übergegangen war. .Auch die Wasseranlage hat damals eine Änderung
erfahren: früher handelte es sich um drei durch Brücken verbundene
Inseln zweier Wirtschaftshöfe und des Herrenhauses; und wo heute
zwischen den beiden Wirtschaftshöfen Gärten sich ausbreiten, muß man
sich früher die Fortsetzung der Wassergräfte der Herrenhausund der
davor gelagerten zweiten Wirtschaftshof-Insel denken (Bild 3); in
gleicher Weise war der erste Wirtschaftshof von der Burggräfte
umspült. Außenbau. Der Eisenbahndamm behindert von der Landstraße
aus leider die Orientierung und verdeckt den Zugang zum Schloß (Bild
3). Der Einfahrtstrakt, von quadratischen Ecktürmen flankiert,
erzählt über dem Portal inschriftlich vom Bauherrn und dem Tag der
Erbauung oder Vollendung, dem 7. Juli 1647. Der zweite
Wirtschaftshof, symmetrisch zum Herrenhaus angelegt mit einem
Bossenportal als Einfahrt (Bild 2), hatte ursprünglich am Ende der
beiden Flügelbauten zur Landstraße zwei Türme geplant (Bild 3), die
aber nur in den Fundamenten zur Ausführung Kamen, oder die
ausgeführt später wieder beseitigt worden sind. Giebel, Dachgesims,
Dachluken und Fensterrahmen der Eingangsfassade des Herrenhauses
stammen erst von der Instandsetzung des 19. Jh. (Bild 1). An der
Rückfront steigen wuchtige quadratische Ecklürme mit barocken Hauben
auf.
Kunstgeschichtliche Zusammenhänge. Die Symmetrie und rechteckige
Regelmäßigkeit der gesamten Anlage, die Stellung der quadratischen
Wohntürme am Herrenhaus, ihre Haubenform und die Verwendung von
horizontalen Hausteinbändern auf den Backsteinflächen und ihr
Verhältnis zu den Fensterrahmen erinnern an das im gleichen Jahre
erbaute Schloß Leerodt bei Geilenkirchen des ebenfalls
pfalz-neuburgischen Kammerpräsidenten Heinr. Wilh. v. Leerodt (s.
Heft Leerodt). Die Verwandtschaft würde noch augenfälliger sein,
wenn das Herrenhaus auf Hugenpoet noch die ursprünglichen
Hausteinfensterkreuze bewahrte, bei denen die horizontalen mittleren
Querbalken in die horizontalen Hausteinbänder der Backsteinfassade
überliefen, ebenso wie heute noch das ober« hund untere horizontale
Rahmenstück. Wir reden hier von einem „gebundenen System des
Backsteinbaus“, das jeder Teilung und Unterteilung einer Fassade die
festen Maßverhältnisse vorschrich, Dieses gebundene System finden
wir außer an Leerodt auch an Schloß Merode bei Dhorn (Kreis Düren),
vor allem an den benachbarten gleichzeitigen Maastalschlössern
Schaesberg und Hoensbroich bei Heerlen und Schloß Eysden bei
Maeseyck. Diese Maastalschlösser bilden durch vielfache Beziehungen,
auch durch verwandtschaftliche der Bauherren, eine
Schulgemeinschaft. Die dienstlichen und höfischen Beziehungen der
beiden Bauherren von Lecerodt und Hugenpoet mögen es erklären,daß
der maastal-jülichsche Bautyp bis an die Ruhr vordrang. Aber auch in
derAnordnung der Wirtschaftshöfe finden wir verwandte Zusammenhänge
mit den maastal-jülichschen Schloßbauten zu Schaesberg, Pallandt,
vor allem mit Hoensbroich, das ebenfalls zwei Wirtschaftshöfe
aufweist. Aus diesen eindeutig überzeugenden Zusammenhängen heraus
könnte man sich ausmalen, wie früher der Wirtschaftshof vor dem
Herrenhaus auf Hugenpoet gedacht, wenn er nicht sogar so ausgeführt
war (Bild 3): zwischen den zwei quadratischen Ecktürmen zum
Eisenbahndamm ein Verbindungstrakt, der sich zum Hof in Arkaden
öffnete und in der Mitte ein Portal als Zugang von der Landstraße
aufwies.
Treppenhaus. In der Eingangshalle überrascht das festliche
Treppenhaus aus schwarzem Marmor (1696), ein freistehendes Portal
mit einer Marmorbalustrade, die in das Obergeschoß hinaufreicht.
Säulen und Wandsäulen tragen den Aufbau, dennoch ein kunstvolles
Gitter, ebenfalls von 1696, ziert. Über die einzelnen Räume verteilt
sich eine beachtenswerte Gemäldesammlung alter Meister (Aufzählung
i. Paul Clemens „Kunstdenkmälern der Stadt u. d. Kreises Düsseldorf“
1894).
Renaissancekamine. Der Hauptschmuck des Schlosses sind seine
fünf Prachtkamine im Untergeschoß (Bild 5—7), „in Aufbau und
Ausführung die glänzendsten Werke der unter niederländischem Einfluß
stehenden Spätrenaissance in den Rheinlanden und Westfalen“ (Paul
Clemen). Zunächst in der Eingangshalle der Kamin von 1560 mit
plastischen Szenen aus der Geschichte Lots: Lot die Engel des Herrn
empfangend, die Männer von Sodom vor Lots Hause, die Flucht aus
Sodom und Lot und seine Töchter (Bild 5); darüber erfindungsreiche,
abwechslungsvolle Kartuschen mit Putten und Frauendarstellungen.
(Die schablonenhaften Muschelbekrönungen hoch oben sind neuere
Zutat.) Von gleicher Schönheit der Gestaltung sind die Tragekonsolen
unten, in einem Kartuschengehäuse an die Konsolenleibung gefesselt
eine Frau und ein Mann, die Seitenflächen geschickt aufgeteilt mit
figürlichen Darstellungen der Astronomie, der Geographie, Italiens
usw. — Die Konsolenleibungen des zweiten Kamins sind außerordentlich
reich und lebendig entwickelt, zwei sich anfauchende Löwenmasken
(Bild 6), die obere mit springenden Greifen an den Seitenwangen, die
untere in einen Kartuschenpanzer gezwängt und in eine Löwenklaue
auslaufend. Die Hauptdarstellung des Kaminaufbaus ist das Relief der
Klage um Abels Tod, eingerahmt von Tragefiguren und Nischen. die
sich mit ihren Architekturgliederungen auch auf die Seitenflächen
fortsetzen, mit Statuen der Judith, der Hoffnung, Moses' und Arons.
Unter der Klage um Abel die Steinigung Stephani, Davids Klage um
Saul oder Absalom und eine andere biblische Szene, seitlich noch
David und Sulamith und Isebel von den Mauern Jerusalems gestürzt. —
Bei dem dritten Kamin gehören die an sich schönen Karyatiden des
Unterhaus nicht zu dem Oberbau mit den Darstellungen des
barmherzigen Samariters; ebenso ist der vierte Kamin eine
nachträgliche Zusammensetzung. — Der fünfte Kamin vom Jahre 1578 ist
das Hauptprunkstück von Schloß Hugenpoet (Bild 7): klassizistisch
klar im architektonischen Aufbau, exakt in der Zeichnung der Gesimse
und Profile, die Behandlung der Konsolen und Tragefiguren von
klassischer Schönheit. Statuen der Venus, Zeus und Merkur teilen das
Hauptstück auf: links das Relief der Flucht aus Troja, rechts der
Brand von Troja, seitlich das Parisurteil und Pyramus und Thisbe. Im
oberen Aufbau in reicher Architekturumrahmung auf sich aufbäumendem
Roß über dem feurigen Erdspalt der sich opfernde Marcus Curtius, in
den Seitennischen Statuetten der Mars und Minerva, hoch oben
gefesselte Sklaven um das Allianzwappen v. d. Horst und Pallandt.
Die
Meister der Kamine. Die Kamine auf Schloß Hugenpoet schmückten
einst dicht an der heutigen rheinisch-westfälischen Provinzialgrenze
an der Emscher das innen und außen überreich ausgestattet gewesene
Prunkschloß Horst im Broiche, die Residenz des kurkölnischen
Marschalls und Statthalters im Vest Recklinghausen, des seinerzeit
politisch einflußreichen Rüttger v. d. Horst. Die fünf Hugenpoeter
Kamine sind erst von Horst dorthin verbracht worden, als Schloß
Horst um 1851 auf Veranlassung des Regierungspräsidenten von Münster
wegen angeblicher Baufälligkeit zum größten Teil abgetragen worden
war, nachdem vorher die damalige Besitzerin, die Freifrau v.
Fürstenberg-Borbeck, den Verkauf des Schlosses an die Krone
abgelehnt hatte. Nur einer der vier Schloßflügel ist auf Horst noch
erhalten, und dort auch noch einer der zahlreichen Kaminaufbauten;
die übrigen plastischen Schätze des Fassadenschmucks, der reich
gegliederten Türen und Portale und der übrigen Kamine sind seit
einigen Jahren in dem als Gaststätte eingerichteten Horster
Schloßflügel wieder verwandt worden. Dieser plastische Schatz und
die Hugenpoeter Kamine sind kunstgeschichtlich von größtem Interesse
für die Aufnahme italienischer Renaissanceformen am Niederrhein und
im westfälischen Grenzgebiet durch Vermittlung niederländischer und
französischer Meister.
Der erste Baumeister von Horst kam aus Arnheim, Arndt Johannssen; seine Hauptmitarbeiter bei der
plastischen Ausstattung der Fassaden, Türen, Kamine waren Heinrich
und Wilhelm Vernukken aus Kalkar und Laurenz van Brachum aus Wesel.
Der Vollender des Schlosses war der französische Bildhauer und
Architekt Joist de la Court. Der plastische Formenreichtum an
dekorativer Plastik auf Horst an abwechslungsreichen Kartuschen,
Karyatiden, Bandwerk, Muschelwerk und Masken hängt zusammen mit dem
Kunstkreis um Colyne de Nole in Utrecht. Flandrische Stichvorlagen
mögen, wie damals üblich, die Anregung zu der dekorativen
Ausstattung gegeben haben. Für die figürlichen Darstellungen
lieferte der Bauherr, wie wir aus den Bauakten wissen, seinen
Künstlern Stiche nach Plastiken und Gemälden. Die Auswirkung ist
heute noch zu verfolgen: auf Horst eine Mosesstatuette nach
Michelangelos Statue in Rom; Darstellungen der Diana und Callisto
nach einem Gemälde Tizians; ein großes Relief der
Konstantinsschlacht nach Raffaels Gemälde; die Darstellung des
Triumphzugs Konstantins des Großen (Bild 8) nach dem antiken Relief
des Triumphzugs Marc Aurels in Rom usw. Ebenso gehen auf Hugenpoet
die Darstellung der Flucht aus Troja und des Brandes von Troja (Bild
7) auf Raffaels Bilder zurück (Borgobrand in Rom). Der Lot-Kamin
(Bild 5) und der Kamin der Klage um Abel (Bild 6) stammen von
Heinrich Vernukken aus Kalkar, Kaminfragmente in der Sakristei der
Nikolaikirche zu Kalkar (Bild 4) und gewisse gleichzeitige
Epitaphien im Kreuzgang des Doms zu Xanten zeigen eine verwandte
Darstellungsweise. Heinrich Vernukkens Sohn Wilhelm baute später die
Kölner Rathausvorhalle, die Schloßkirche zu Schmalkalden und in der
Stiftskirche zu St. Goar das Grabmal des Landgrafen ‚Philipp II. v.
Hessen († 1583 — s. Heft Stiftskirche zu St. Goar). Laurenz van
Brachum war später auf den Lippeschlössern Assen und Hovestadt
tätig. Joist de la Court hängt zusammen mit den
Arkadenhof-Schloßbauten zu Jülich, Rheydt und Bedburg: von ihm
stammt auch auf Hugenpoet der Troja-Kamin (Bild 9), der des Meisters
Herkunft charakterisiert: er stammte aus dem Kreis des großen
französischen Bildhauers und Baumeisters Jean Goujon.
Literatur:
-
Paul Clemen, „Die Kunstdenkmäler des Stadtund Landkreises
Düsseldorf“ (1894). —
-
Edmund Renard, „Die Meister von Schloß Horst im Broiche. Das
Schlußkapitel der Schule von Kalkar“ (1915).
-
Richard Klapheck, „Die Schloßbauten zu Raesfeld und Honstorff
und die Herrensitze des 17. Jahrhunderts der
Maastal-Backsteinarchitektur“ (1922).
-
Richard Klapheck, „Kalkar am Niederrhein“ (1930).
-
Alfred Kamphausen, „Die Niederrheinische Plastik des 16.
Jahrhunderts und die Bildwerke des Xantener Domes“ (1931).
RICHARD
KLAPHECK.
|