1, St. Lambertus
zu Düsseldorf.
Lage. Ein
wenig versteckt im Straßengewirr der Altsladt, abseits von den
großen Durchgangsstraßen des jetzigen Düsseldorf, liegt die
Lambertuskirche. Der Wanderer wird ihrer erst gewahr, wenn er
unmittelbar vor ihr steht, denn rings ist sie umgeben von nahe an
sie herantretenden Häusern, und kein Straßenzug gibt in direkter
Zuführung den Blick auf sie frei. Anders bietet sich ihr Bild dem
auf dem Rhein sich Nähernden dar. Hier hebt sich aus der flach
gelagerten Uferfront die schlanke, spitzig-kecke Silhouette des
windschiefen Turmes aus dem kleinen Häusergewimmel charakteristisch
heraus — als Wahrzeichen der Stadt (Bild 1).
2.
Rekonstruktionsversuch der Lambertuskirche vor der letzten
Erweiterung vor Ende des 14. Jahrhunderts
3. Grundriß der
Lambertuskirche
Baugeschichte. Schon im 11.112. Jahrhundert stand hier ein
romanisches Gotteshaus. Es glich, wenn auch größer, den
querschifflosen romanischen Kirchen, Wie sie in Bilk, Himmelgeist
und Wittlaer mit Westturm, Mittelschiff und schmalen Seitenschiffen,
flacher Decke noch erhalten sind. Sein einstiger Grundriß, dunkel
getönt, in Bild 3. — Nach der siegreichen Schlacht bei Worringen im
Jahre 1288 erhob Gräf Adolf von Berg den kleinen Ort Dusseldorp zur
Stadt und zugleich deren bisherige Pfarr- zur Stiftskirche St.
Lamberti. Bald darauf wurde die bauliche Erweiterung des
Gotteshauses mit Errichtung des heutigen Westturmes in Angriff
genommen (Bild 1). Als dieser bis zum 3. Stockwerk fertig war, wurde
anschließend zu Beginn des 14. Jahrhunderts an Stelle des alten
romanischen Turmes das erste (West-) Joch der nunmehr im gotischen
Stil geplanten Neubaukirche errichtet (I im Bild 3). Das für den
Gottesdienst auch weiterhin in Benutzung bleibende romanische
Kirchenschiff blieb hierdurch unberührt. Auch der neue gotische Chor
im Osten der alten Kirche wurde in größerem Abstand um den
romanischen Chor herumgebaut. Erst als der neue Chor, um 1350,
vollendet war, konnte der altc abgebrochen werden. Um diese Zeit bot
sich also das Bild der Kirche folgendermaßen dar: der neue Turm
führte in das gotische Westjoch (I in Bild 3), und dieses
unmittelbar in den alten, romanischen Kirchenraum (Bild 2). Dieser
wieder öffnete sich nach Osten in den geräumigen Chor gotischen
Stiles. Auf der Südseite hatte dieser Chor einen schlichten Eingang
(Bild 2), der noch heute (bei g im Grundriß, Bild 3) erkennbar ist.
Die Wand des heutigen Innenchores war also damals frei stehende
Außentnauer. Nachdem Graf Wilhelm (1360—1408) i. J. 1380 in den
Herzogstand erhoben war, nahm er zugleich mit der Einrichtung 10
neuer Kanonikate (Stiftsherrnämter) eine Vergrößerung der Kirche um
fast das Dreifache vor. In gleicher Breite und Höhe wie das
Mittelschiff wurden jetzt die Seitenschiffe errichtet, und diese um
den erst kurz zuvor gebauten gotischen Chor herumgeführt, der nun
also zum inneren Chorraum wurde und sein Licht von den Fenstern des
Chorumganges erhielt (Bild 4, 5).
4. Blick in den
nördlichen Chorumgang
5. Blick auf den
Chor
Bild Die
romanische Kirche wurde vollends abgerissen, an ihrer Stelle
entstanden die weiteren Joche (II, III in Bild 3) des gotischen
Mittelschiffes. Die Fensteröffnungen des einstigen Chores wurden
tiefer nach unten gezogen und wirken nun wie Pfeilerarkaden zwischen
Chor und Umgang (Bild 4, 5). Was jetzt hinter dem (Chorgestühl als
Chorschranke stehengeblieben ist, war somit früher die Außenwand des
Chores- Cm wurde dann die 2geschossige Sakristei ander Südseite
errichtet (Bild 3). Da der Herzog zahlreiche kostbare Reliquien
erworben und Düsseldorf in den Wallfahrtsweg nach Trier, Köln,
Aachen usw. einbezogen hatte, mußte zur Zeigung der Reliquien über
dem Ostdach der Sakristei ein Balkon ausgebaut werden, der noch
heute sichtbar ist. Damit hatte die Kirche im wesentlichen ihre
heutige Gestalt erhalten. — Das Kircheninnere aber hat in den
späteren Jahrhunderten manchen Wandel erfahren. Bei der 1634
erfolgten Explosion des städt. Pulverturmes nahm nicht nur das
Mauerwerk schweren Schaden, auch die alten Glasfenster, ein Teil der
Altäre und der Wandgemälde wurden zerstört. Um 1700 erhielt die
Kirche den Hochaltar, die Kanzel und die 4 Barockaltäre im Umgang
(Bild 4, 5). Als infolge der Säkularisation 1803 die Stiftskirche
wieder zur Pfarrkirche wurde, erfuhr die Innenausstattung durch
Beseitigung altehrwürdiger Altäre, der den Fußboden bedeckenden
Grabsteine und durch andere Maßnahmen viele ungünstige
Veränderungen.
Außenbau.
Breit hingelagert, füllt die Kirche einen großen Teil des bis ins
18. Jahrhundert hinein . als Friedhof dienenden Stiftsplatzes aus.
Die niedrigen Häuser ringsum bieten wirkungsvollen Höhenmaßstab
(Bild 1). Der in Tuff aufgeführte, in 5 Stockwerke gegliederte Turm
ist dem gleich breiten Mittelschiff vorgelagert (Bild 3), Seine
Ecken sind mit Hausteinquadern verklammert. Über dem im Rundbogen
geschlossenen Portal mit horizontalem Sturz öffnet sich ein großes
spitzbogiges, mit dreifach gegliedertem Maßwerk versehenes Fenster.
Die 2 folgenden Geschosse zeigen je 3 einfache rundhogige Blenden,
während das oberste Stockwerk auf jeder Seile mil 2 durch eine Säule
unterteilten spitzbogigen Schallöffnungen versehen ist. Darüber ragt
die überaus schlanke, achtseitige Turnhaube auf, vor ihrem Auslauf
sich aufsplitternd in 8 schmale Giebelchen. Über jeder Ecke
vermittelt ein zierliches, schieferverkleidetes Türmchen den
Übergang vom Turm zum Turmhelm, links und rechts von der
Turmrückwand die beiden Giebel der Seitenschiffe, deren frühere
Portale jetzt vermauert (Bild I). In jedem Giebel je. ein großes
Fenster. Im Winkel zwischen Turm und . südlichem Seitenschiff das
Treppenhaus zum Turm (Bild 3). Die Außenwand der Kirche besteht aus
Backsteinen, dessen ernste Wirkung durch die Schmucklosigkeit des
Äußeren der Kirche unterstrichen wird. Einfachste Gliederung der
Seitenschiffe durch zweifach abgetreppte Strebepfeiler und durch das
unter den Fenstern verlaufende Gesims. Schlichte vertikale
Aufteilung der Fenster, Auf der Südseite eine stärkere Belebung
durch den vorspringenden Sakristeibau mit seinen 2
Fenstergeschossen, dem zierlichen Dachreiterchen und der unter dem
Dach hervortretenden Empore im Osten:— In stumpfer Schwerfälligkeit
führt der dreiseitig gebrochene Ost abschluß die ungemeine
Breitenausdehnung des massigen Baukörpers vor Augen. Hier vereinen
sich alle 3 Dächer zur gemeinsamen Front.
Innenbau.
Die Vorhalle des Turmes mit dem gedrückten Kreuzgewölbe steht in
wirkungsvollem Kontrast zu den frei und breit sich wölbenden Jochen
des Mittelschiffes, das sich nach links und rechts mit den
Seitenschiffen zu mächtiger Hallenwirkung entwickelt (Bild 4, ö)-
Mittelschiff und Chor haben keine eigenen Fenster, daher das
dämmerige, feierliche Dunkel. 7 Pfeilerpaare führen in groß
gemessenen Abständen zum Hochaltar hinan, den Raum in wohltuender
Gliederung aufteilend. Die achtseitigen Pfeiler nehmen die einfach
profilierten Gurte und die hohlgekehlten Gewölberippen auf. Die
„Pfeiler" des Chores sind -schmal und rechteckig gebildet, da sie,
wie oben dargelegt, Teile einer früheren Fensterwand darstellen. In
seiner ganzen breitgelagerten Mächtigkeit wird das Raumbild
besonders wirksam am Beginn des Chorumganges (Bild 4). Erst hier
erkennt man, welch eine Kühnheit in dem Gedanken lag, das
Seitenschiff in seiner vollen Breite um den Chor herumzuführen. Die
Gedrücktheit der in die Breite entwickelten Proportionen wird als
ernstes Stimmungselement empfunden.
6.
Sakramentshäuschen
Ausstattung.
Sitzbild der Muttergottes, 1, Hälfte 14. Jh.; ausgeschwungene
Haltung, weiches, rundes Gesicht, kleiner Mund, wie von innen heraus
leuchtende Augen verraten kölnische Herkunft. Vesperbild
(Muttergottes mit. dem Leichnam Christi), 2. Hälfte 15. Jh., jetzt
auf dem Kriegeraltar. — Chorgest ühl, Ende 15. Jh., nur bis zur Höhe
der Armlehnen in altem Zustand, mit zahlreichen drastischen
Schnitzbildern unter den Sitzen. — Sakramentshäuschen (Bild 6 und
4), einzigartiges Meisterwerk der Spätgotik mit dem Wappen
HerzogWilhelms IV. (1475—1511). Auf hohem Sockel der schlanke, bis
ins Gewölbe reichende, zu prächtiger Wirkung entwickelte Baldachin,
gestiftet von Zollschreiber Cluntz (Wappenschild mit Hausmarke). —
Von demselben gestiftet (Hausmarke am Sockel) die reckenhalte Figur
des hl. Christophorus mit muskulösen Gliedmaßen, riesigem,
faltendurchfurchtem Haupt und wallendem Bart, schwerem aufgewühltem
Gewand. Kalvarienberg vor der Kirche, ursprünglich spätgotische
Arbeit, 1887 und 1930 durch Kopien neuhergestellt. Grabmal der
Elisabeth v. Waldeck († 1388), hervorragende figürliche Arbeit der
Zeit; die lateinische Inschrift bezieht sich auf zeitweilige
Verwendung als Altarsockel. Zahlreiche gotische Wandgemälde; das
bedeutendste (durch Restauration beeinträchtigt) das lebensgroße
Bild der thronenden Muttergottes neben der Sakristeitür, 2. Hälfte
15. .Jh. (Bild 8); feiner lyrischer Stirnrnungsgehalt, Anmut und
Schönheit der Gestalten weisen auf Einfluß Stephan Lochners. Über
dem Eingang zum südlichen Seitenschiff die Darstellung der hl.
Kümmernis, nach der Legende die Tochter eines heidnischen
Königs. die ewige Jungfräulichkeit gelobt und Gott um körperliche
Entstellung gebeten habe, um der Verlobung mit einem heidnischen
Prinzen zu entgehen; nachdem sie männliche Gestalt und einen Bart
erhalten, habe der Vater sic kreuzigen lassen. Mit dieser Legende
verbindet sich, wie das Bild zeigt, die des Geigers. — Grabmal
HerzogWi1he1ms des Reichen, 1599 vom Kölner Bildhauer Gerhard
Scheben fertiggestellt (Bild 7), eine der beachtlichsten Schöpfungen
deutscher Hoeltrenaissance ; architektonischer Aufbau in schwarzem
Marmor, Säulen in rotem, Figureu in weißem Marmor; an den
Treppenstufen Löwen mit den herzoglichen Ahnenwappen ; auf dem
Sarkophag, wie in Nachdenken versunken, die Figur des Herzogs; im
Mittelteil Grabinschrift, darüber das jülich-klevisch-bergische
Wappen; oberes Relief das Jüngste Gericht. Apollinarisschrein in der
Rückwand des Hochaltars, mit Sitz figur des Heiligen, gestiftet von
Herzog Philipp Wilhelm (1053—90). - Hochaltar, Ende 17. Jh., auf
hohen Basen je drei mächtige gewundene Säulen, darüber ein im
Halbrund überhöhter Architrav, auf welchem vier Engel die
Baldachinkrone halten (Bild 5) Links vom Hochaltar die Figuren der
hl. Lambertus und Apollinaris, rechts der hl. Thomas und Pankratius.
Um 1700 ferner vier Altäre im Chorurugang (Bild 4) und die mit
schönen Medaillons versehene Kanzel (Bild 5). Die schön geschnitzten
Mittelschiffsbänke, die beiden Rosenkranzbilder (aus der früheren
Kreuzherrenkirche) über dem Kriegeraltar, die Figuren Christi, der
h1. Barbara und Nepomuk aus dem 18. Jh. Altarvorsatz, gemalt und
gestiftet 1843 von Andreas Achenbach. — Kriegeraltar im südlichen
Seitenschiff, darüber Namentafel der im Weltkrieg gefallenen
Gemeindemitglieder.
7. Grabmal des
Herzogs Wilhelm des Reichen.
Kirchenschatz. Kopfreliquiar aus vergoldetem Kupfer, 12. Jh.;
trotz der strengen Stilisierung in der Kunstsprache der Zeit
überzeugend durch lebensvolle Wirkung. — Großes Ostensorium , Mitte
15. Jh., mit jülich-bergischem Wappen. Von zierlicher Köstlichkeit
das kleine Silber-Ostensorium, um 1500; mit Figuren der hl. Maria
und Joseph. Die „Schweden-Monstranz", um 1500, kunstvoll und
prächtig, stammt aus dem Besitz Gustav Adolfs, der sie aus Böhmen
mitführte.-— Zwei Sonnenmonstranzen, Mitte 18. .Jh. Buchdeckel aus
vergoldetem Silber getrieben, mit Darstellung der Krönung Mariä,
edle Arbeit, 15. Jh. — Der Abtstab, 16. Jh., stammt aus der Abtei
Altenberg; die Windung mit den Figuren der Madonna und des hl.
Bernhard laut Inschrift erst 1723 hinzugefügt. Die Prachtkasel mit
Darstellungen aus dem Marienleben gehört zu den größten
Meisterwerken der niederrheinischen Nadelmalerei; die dazu
gehörenden Dalmatiken mit Hochstickerei tragen das Wappen des
Stifters: Herzog Gerhard (1437—1475).
Literatur : Paul
Clemen „Kunstdenkmäler d. Stadt u. d. Kreises Düsseldorf" (1894).
Oskar Karpa, „Die Stifts- und Pfarrkirche St. Lambertus zu
Düsseldorf" (Schr. d. Histor. Mus. u. d. Archivs der Stadt
Düsseldorf, Heft 4, Düsseldorf 1932) |