DAS SCHLOSS RHEYDT

Rheinische Kunststätten ● Reihe I :Aachen - Jülicher Land ● Nr. 8

< previous - zurück vor - next >

1. Schloß Rheydt. Gesamtansicht der Anlage.

Geschichte. In dem von Bächen und Gräben durchzogenen Bruchland im Nordosten der gleichnamigen Stadt liegt an der Stelle. eines alten fränkischen Salhofes das prächtige Renaissanceschloß Rheydt (Bild I). Vom 12. bis zur Mittte des 15. Jh. saß dort ein Rittergeschlecht dieses Namens auf einer Wasserburg an einer Furt der Niers. 1307 kam die Burg unter die Lehnshoheit der Markgrafen von Jülich, die Rheydt zu einer Unterherrschaft von .Jülic11 mit eigener Gutsverwaltung machten. Im Jahre 1454 wurde das Schloß von Lütticher Kaufleuten in Brand gesteckt. Um 1500 ging es in den Besitz der Grafen von Bylandt über- Otto von Bylandt (1522 1591) ließ das Renaissaneesehloß bauen und, ohne seinen Lehnsherrn zu fragen, durch Wälle und fünf Bastionen mit unterirdischen Gängen und Geschützständen befestigen (Bild 14). Er setzte es beim Kaiser Rudolf (1576—1612) durch, daß Rheydt zur reichsunmittelbaren Herrschaft erklärt und er selbst , zum Reichsfreiherren ernannt wurde. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloß von Heinrich von Berg eingenommen und Florenz Otto Heinrich von Bylandt (1686 -1701) ließ den Wall abtragen und mit Obstbäumen bepflanzen. Im Jahre 1799 floh der letzte der Grafen von Byland vor den Franzosen nach Ratingen, wo er kinderlos starb.

Anlage und Aufbau. Nach Überschreiten der Brücke über die Niers, an der einst die zum Schloß gehörende alte Mühle lag, gelangt man durch eine Lindenallee über die Zugbrücke des äußeren Burggrabens an den Torbau (Bild 2). Neben dem Rundbogenportikus aus einfachen bossierten Quadern aus Liedberger Sandstein kragt ein Erker für den Wachtposten vor. In der Mauer sieht man die Löcher für die Zugbrücke. Die großen Steinkugeln im Mauerwerk stammen offenbar aus dem Truchsessischen Krieg. Hinter dem Torbau erstreckt sich zur Linken die Vorburg, die einst auf vier Seiten eines Rechtecks auf einer vom inneren Burggraben umflossenen Insel lag. Es ist nur noch der an den Ecken mit wuchtigen Vierkanttürmen bewehrte Haupttrakt davon erhalten.

2. Schloß Rheydt, Brücke und äußeres Tor.

Der im rechten Winkel daran anschließende Südflügel diente einst als Kaserne für die militärische Besatzung (Bild 1). Die einst gewölbte Durchfahrt öffnet sich in einem Rundbogenportikus, dessen tektonische Gliederung aus zwei stämmigen toskanischen Säulen vor Pilastern und einem Architrav besteht (Bild 3). Das Dach ist mit einem zierlichen Dachreiter bekrönt. Hat man den Torweg hinter sich, steht man vor der Front des stattlichen Schloßbaus, der einst in vier Flügeln um eine inneren Hof angelegt und rings vom Wasser des inneren Grabens umgeben war (Bild 4).

3. Schloß Rheydt, Tor der Vorburg.

Die Baugeschichte von Schloß Rheydt ist noch nicht geklärt. Im Nordflügel sind offenbar noch wesentliche Teile eines spätgotischen Neubaus enthalten, der nach der Zerstörung durch die Lütticher Kaufleute in der zweiten Hälfte des 15. Jh. in Angriff genommen wurde. Zwischen 1567 und 1581, unter der Regierung Wilhelms des Reichen von Jülich ist nach Mitteilung des niederländischen Rechtsanwalts Arnold van Büchel von Joist de la Court das Renaissanceschloß ausgebaut worden. Dieser Baumeister, der, nach seinen Kaminen zu urteilen, von Haus aus offenbar mehr Bildhauer war und wahrscheinlich aus der Schule der französischen Schloßbaukunst hervorgegangen ist, hat vermutlich beim Bau des Residenzschlosses und der Landesfeste in Jülich unter Pasqualini den dekorativen Kanon der italienischen Renaissance kennengelernt. Er war auch auf Schloß Horst bei Essen als Architekt und Bildhauer tätig und gehört zu jenen Architekten, die wie Jan Vernuyken, der Schöpfer der Rathausvorhalle zu Köln, einen monumentalen Stil auf der Grundlage der plastischen Dekorationsformen anstrebten. So wird in Rheydt besonders an der Oberwand der Hofseite die dekorative Durchbildung des Baukörpers folgerichtig bis in die einzelnen Glieder, bis zu den feinsten plastischen und optischen Schwingungen der Oberfläche der Haut des Baukörpers durchgeführt, und zwar an Hand des antiken Formenkanons, wie ihn die zeitgenössischen Architekturbücher überlieferten.

 4. Schloß Rheydt, Rittersaalflügel der Frontseite. - Bildarchiv d. Stadt Rheydt.

Im Gegensatz zu dem Dekorationsstil der Hofseite haben am Rittersaalflügel die tektonischen Gliederungsmittel noch mehr Geltung in Gestalt von Säulen und Gebälk, Rahmenwerk und Füllung von der Art, wie sie von Alessandro Pasqualini und seinen Mitarbeitern am Schloß zu Jülich entfaltet wurden, wenn dieser Kanon am Schloß zu Rheydt auch durch malerische dekorative Tendenzen abgewandelt wurde. Wie die Tore des Vorwerks und der Vorburg zeigen, die beide zu Jülicher Bauten in Beziehung stehen, scheint in Rheydt auch ein Baumeister tätig gewesen zu sein, der mehr Architekt als Bildhauer war. Dem vorspringenden Rittersaalflügel wurde im Erdgeschoß eine Säulenstellung vorgeblendet. Die Säulen sind aufgerauht und mit Bändern gegliedert (Bild 4). Sie werden oberhalb des mit Metopen und Triglyphen ausgestatteten Architravs von Panhermen gekrönt (Bild 5). Die Fenster sind in Hausteinfassungen eingefügt und mit griechischen Giebeln versehen, die auf Konsolen aufsitzen (Bild 9). Am länglichen Trakt, der in seiner dekorativen Gestaltung offenbar unvollendet geblieben ist, und dessen einzelne Geschosse durch Konsolenfriese abgeschlossen werden, springt in der Mitte ein halbrunder Turm vor.  plastischen Köpfen.

 5. Schloß Rheydt, Ritterflügel, Ausschnitt

Im Südosten führt, einst nur über eine Brücke zugänglich, eine mit gedrückten Kreuzgewölben überspannte Durchfahrt in schräger Richtung in den inneren Hof. Sie öffnet sich nach innen in einen von Pilastern abgestützten Rundbogen, der in eine größere Blende eingefügt ist (Bild 10). Diese besteht aus einem mit einer Inschrift versehenen, von Konsolen getragenen Architrav. Die Schildwand über der Durchfahrt trägt Medaillons mit plastischen Köpfen. Die Laube wird von einer toskanischen Bogenstellung über einer Brüstung abgeschlossen, welche die Hofseite in ihrem Aufbau bestimmt (Bild 7). Der Laubengang ist mit Kreuzgewölben eingewölbt, deren fein ziselierte Rippen von zierlichen Konsolen getragen werden, und die im Scheitel mit großen Schlußsteinen in Gestalt von Frucht und Blumengehängen ausgestattet sind (Bild 13).

6. Schloß Rheydt, Oberwand der Hofseite, Ausschnitt

Die Arkadengliederung, der man an vielen niederrheinischen Schlössern begegnet, ist hier besonders glücklich gelöst worden. Oberhalb der Laube entfaltet sich an der Wand eine üppige, vorgeblendete Renaissancedekoration (Bild 6 u. 8).. In den Zwickeln zwischen den Bogen sind Medaillons angeordnet.

7. Schloß Rheydt, Hofseite mit Garten

8. Schloß Rheydt, Oberwand der Hofseite.

9. Schloß Rheydt, Rittersaalflügel, Fensterbekrönung.

Darauf folgt eine Gebälkzone mit Löwen- und Menschenmasken (Bild 12), die gleichzeitig als Basis dient für die Pilaster,welche die Oberwände gliedern und den Konsolenfries unterhalb der Traufkante der Zwerchdächer tragen, die mit ihren Dachgaupen und den reichen, von Licht und Schatten bestimmten Umrissen mit dem Aufbau in schönem Einklang stehen. Beachtung verdient die Ausstattung der jonischen Pilaster mit Doppelspiralen aus Schmiedeeisen.

10. Schloß Rheydt, Blick in die Durchfahrt von Osten.

11. Schloß Rheydt, Hofseite, Trophäe des Publius Decius

12. Schloß Rheydt, Hofseite, Groteske

Zwischen den Pilastern der Oberwände sind im Wechsel Fenster und Medaillons mit antiken Heroen (Bild 11) zwischen Schriftkartuschen angeordnet, die Mut, Ruhm, Gemeinsinn und Ehre als männliche Tugenden verherrlichen. Es war nicht nur überschwengliche Dekorationslust, die diesen üppigen Aufwand an Ziergliedern bestimmte, sondern dieser Aufwand war auch in diesem Zeitalter in dem Ringen um ein neues Lebensideal verankert. In einer kriegerischen Welt wie damals im Jahrhundert der Reformation während der Freiheitskämpfe der benachbarten Niederlande, kurz vor dem Ausbruch des 30jährigen Krieges hatte man besonderen Grund, an die heroische Haltung des Menschen und an seine staatsbürgerlichen Pflichten und Tugenden zu erinnern. Die in den Niederlanden kämpfenden Heere sind oft in bedrohliche Nähe gerückt. Die vier Inschriften in den von der griechischen Schrifttafel (tabula ansa) abgeleiteten Kartouchenpaaren, die für den Dekorationsstil dieses Zeitalters besonders charakteristisch sind, lauten folgendermaßen:

  1. Q. MUTIUS SCAEVOLA QUI DEXTERAM SUAM IGNE CORAM PORSENA EXUSSIT.
    WAS SOLL EIN STAT,  DAREIN KEIN MAN, UND EIN MAN, DARIN KEIN HERZ IST IIIII MAN MOISZ SEINER IIlII VATERLAND NIT VERSORENE.
     

  2. HORATIUS COCLES, QUI SOLUS ENTRO IIIII PONTEM SUSTINENS IIIII SE PRAECIPITAVIT.
    ICH ACHT NICHT DER GE IIIII LEFT HAIT, WILCHER NIT SEINES SELBEN NAMHAFFTIGE GEZEUGNIS NACH SICH GELASSEN HAIT.
     

  3. PUBLIUS DECIUS, QUI SUO CORPORE VIAM HOSTIBUS OBSTRUCTURUS SE DIIS ... DEVOVIT
    WIR SEIN NIT UNS ALLEIN, SONDERN AUCH DEM GEMEINEN NUITZ, WOLSTAND UND GANTZEN VATERLAND ZU GUIT UND DIENST GEPOREN.
     

  4. M. ATTILIUS REGULUS. QUI SERVANDO IURIS IURANDI RELIGIONEM A CARTHAGINIENSIBUS EXCRUCIATUS EST.
    ES IST MIR EHRLICHER EIDTZPFLICHT ZU HALTEN UND GEMARTERT WERDEN, DENN SCHAMROIT SEIN UND LEBENDIG BLEIBEN.

13. Schloß Rheydt, Blick in den Laubengang. Bildarchiv der Stadt Rheydt.

Durch. den vierkantigen Turm wurde auf der Rückseite geschickt die Verbindung mit dem im Kern spätgotischen Nordwestflügel hergestellt (Bild 7). Im Innern ist das Schloß, das ein .Heimatmuseum beherbergt, stark entstellt. Im Erdgeschoß hat der Raum in dem vorspringenden Turm ein Gewölbe mit breiten Stuckrippen aus ehemals farbigen Fruchtkränzen. Beachtung verdienen drei Bildnisse von Angehörigen der Grafen zu Dohna und anderen Verwandten der Bylandts, angeblich von G, Honthorst (1649) und einige Totentafeln aus dem 18. .Jh. Außerdem befinden sich Bildnisse des Kurfürsten Jan Wellem sowie des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz und seiner Gemahlin in der Gemäldesammlung. Im Vorraum zum Rittersaal sieht. man eine Tür mit spätgotischen Faltwerkfüllungen, einen Renaissanceschrank, der aus dem Kloster Neuwerk stammen soll, sowie einige stattliche Stühle aus dem Bereich des Danziger Barock, die aber nicht zur ursprünglichen Schloßausstattung gehören. Die Treppe, die ins Obergeschoß führt, hat ein einfaches Balustergeländer. Im Obergeschoß verläuft in der Richtung der Laube ein mit Pilastern gegliederter Flur, von dem aus alle anstoßenden Gemächer zugänglich sind. In einem derselben befindet sich ein Kamin mit den Wappen Ottos von Bylandt und Marias von Bongart, des Herzogs Wilhelm von Jülich und Maximilians II., also den Wappen der Schloßherrschaft, des Schloßherrn und des Kaisers.

14. .Schloß Rheydt, unterirdischer Wehrgang.

Schrifttum:
P. Clemen, Die Kunstdenkmäler der Städte und Kreise Gladbach und Krefeld. Düsseldorf 1896. S. 85 ff.
R. Klapheck, Die Meister von Schloß Horst, Berlin 1915, S. 214 ff,
R. Klapheck, Die Baukunst am Niederrhein, Berlin 1915, Bd. 1, S. 168 ff.
Hans Nolden u. a., Unsere Heimat, M.-Gladbach 1926. S. 198 ff- (dort weitere, Angaben)
Dr. Mertens u. a. Gladbach-Rheydt 1932, S. 17, 38, 83.
Th. Wildeman, Rheinische Wasserburgen und wasserumwehrte Schloßbauten. Köln 1937.

J. HEINRICH SCHMIDT, Düsseldorf 1937.

Startseite

info@hoeckmann.de

Impressum/Disclaimer Sitemap

27.12.22 © Höckmann

www.ruhr-projekt.de