Lage.
Indem Hügelland, das als Ausläufer des Westerwaldes zur Siegmündung
hin in die Rheinebene übergeht und von dem rückwärtigen Schattenriß
des Siebengebirges überragt wird, liegt die alte Siegburger Propstei
Oberpleis. Eine Wegstunde nur von der vielbesuchten Ruine
Heisterbach ist hier eines jener romanischen Bauwerke erhalten, die
in ihrer ungeheuren Fülle und mit der Kraft ihres Wesensgepräges der
Rheinlandschaft einen ganz bestimmten Ausdruck verleihen. Eine
Kirche wird hier schon 948 bezeugt, doch ist der bestehende Bau ein
Werk der Wende des 11. Jh,, das um 1220/30 eine einheitliche
Umformung erfuhr (Bild 1—5). Von den ursprünglichen Propsteigebäuden
ist nur der westliche Flügel des Kreuzganges auf der Südseite der
Kirche erhalten, ein engverwandtes Gegenstück des Bonner Kreuzgangs,
wie dieser mit Einbeziehung des Obergeschosses in die Wandgliederung
und neben ihm wie Schwarzrheindorf eine Fundgrube für die Bauzier
der frühen Stauferzeit (Bild 6). Die übrigen Flügel sind schlichte
Neubauten des 17. und 18. Jh. In der Ringmauer des Klosterbezirks
ist außerdem noch auf ein schönes spätromanisches Tor hinzuweisen
(Bild 10).
Baugeschichte
und Beschreibung. Die erste Bauzeit, um 1100, bestimmt im
wesentlichen noch jetzt die Erscheinung. Westturm, basilikales
Langhaus und Krypta unter Querschiff und Chor sind aus ihr erhalten.
Ohne die reichere Gliederung des Obergadens und der Ostteile war der
ursprüngliche Eindruck noch stärker von der ungebrochenen Wucht der
aneinandergeschobenen Kuben und ihrer strengen Regelhaftigkeit
bestimmt. Der Turm, ein hoher quadratischer Block, nur durch die
gekuppelten Öffnungen der Glockenstube und eine Reihe von
Zwillingsblenden im Geschoß darunter belebt (Bild 5). Das Langhaus
besteht aus drei gestuften Schiffen und erstreckt sich zwischen dem
Turm und dem quergelagerten Kubus des Querschiffs (Bild 3). Das
Innere ist mit den ursprünglichen Flachdecken in reiner Kastenform
zu denken, die durch die runden Bögen und kurzen Pfeiler zwischen
Haupt- und Seitenschiffen zu künstlerischem Ausdruck gesteigert ist.
Ohne die Umformung der staufischen Zeit können wir den
ursprünglichen Eindruck in der Krypta erleben (Bild 1—2). Die
Ausdehnung unter dem ganzen Querschiff ist eine ziemlich seltene
Erscheinung, die sie mit der Siegburger Abteikirche verbindet. Eine
dreischiffige, siebenjochige Querhalle wird von einer fünfjochigen
langgestreckten durchkreuzt, mit der sie also die neun Mitteljoche
gemeinsam hat. Die vier Säulen am Choreingang sind durch
Schaftstärke und Werkstoff hervorgehoben, die Säulen der beiden
mittleren Längsreihen sind um ein weniges höher als die anderen.
Durch diese Feinheiten und die rhythmisch wechselnde Jochbreite
kommt ein atmendes Leben in das gebundene Maß dieses Raumkunstwerks,
dessen Ernst und Strenge alle Einzelheiten bestimmt hat. Die durch
Gurte abgeteilten Kreuzgratgewölbe, die Säulen mit steilen attischen
Basen und die Würfelknäufe, die doppelten Halbkreisschilde, die
diese alle schmücken, scheinen eine besondere Eigenart des Siegtals
zu sein.
5. Oberpleis.
Propsteikirche, Ansicht von Nordwesten. Denkm.-Archiv d. Rheinprov.
Um 1220 wurden
die Ostteile der Kirche über dem durch die Krypta gegebenen Grundriß
neugebaut und das Langhaus mit neuaufgebautem Obergaden gewölbt
(Bild4). Das Äußere wurde durch eine reichere Gliederung mit
Mauerbändern, Bogenfriesen und Blenden, vor allem aber durch einen
achtseitigen Vierungsturm umgestaltet, der noch in Ansätzen
erhalten, vielleicht aber auch nie ausgeführt worden ist, Er hätte
zusammen mit den zwei ebenfalls nicht erhaltenen Chorflankentürmen
des ersten Baues eine Turmgruppe als Gegengewicht zu dem höheren
Westturm gebildet. Der Unterbau der Chortürme wurde in den Innenraum
einbezogen und durch diese räumliche Verbindung der Querschiffflügel
mit dem Chor eine hallenartige Weite erzielt, die ihr besonderes
Gepräge durch die Schwingung der Wände in diesen „Umgängen“ um die
Vierungspfeiler und in der Chorapsis erhält. Die ursprünglichen drei
Nischen der Eckverbindung hat Wiethase bei seiner Wiederherstellung
1891 willkürlich durch zwei ersetzt, doch ist die Raumwirkung
dadurch wenig verändert. In die räumliche Gesamtwirkung wurde das
Langhaus durch die vier quadratischen Rippengewölbe einbezogen, die,
nur auf Wandkonsolen aufsitzend, wie in den ursprünglichen
Raumkasten hineingehängt wirken. Durch die Abrundung des Raumes nach
oben und mit ihren wiederum herabhängenden Schlußsteinen nehmen sie
ihm die Starre und den Ernst des Gebauten und lassen ihn an dem
schwingenden freudigen Leben der Querschiff-Chorhalle teilnehmen.
Ausstattung. Die barocke Ausslattung des
18. ‚Ih. wurde leider bei der Wiederherstellung durch eine neue
ersetzt, doch ist als wertvoller Rest des ursprünglichen Bestandes
noch ein Allaraufsatz erhalten: ein großes Steinrelief mit der
thronenden Mutter Gottes in der Mitte, von den anbetenden drei
Königen und drei Engeln flankiert (Bild 7). Für die künstlerische
Haltung der Zeit, der Mitte oder des dritten Viertels des 12. Jh.,
ist besonders bezeichnend das reine Beieinander der Gestalten, fast
ohne Rücksicht auf die Darstellung des Geschehens. Das Säulenhafte
der Figuren, die strenge Riefelung der Falten, die unbedingte
Einhaltung einer gemeinsamen Oberfläche trotz starker Austiefung des
Reliefgrundes, das alles ist Entsprechung der Form für die
diesseitige lebenbejahende Grundstimmung, die in dem Bauwerk durch
alle Bindung und Gehaltenheit, Hoheit und Würde hindurch fühlbar
wird.
Schrifttum: E.
Renard, Die Kunstdenkmäler des Siegkreises. Düsseldorf 1907. — W.
Effmann in: Zeitschrift für christliche Kunst 5, 1892. — Zum
Altaraulsatz: H. Beenken, „Romanische Skulptur in Deutschland“.
Leipzig 1924.
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